Vor Hunger geschützt zu sein
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Dass Hunger wieder ein ernsthaftes Thema in Europa werden könnte, war mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg bis vor kurzem noch außerhalb des Bewusstseins und des Erfahrungshorizonts der meisten in Deutschland. Nicht nur die aktuellen Entwicklungen geben Anlass, der Frage nach dem Recht, vor Hunger geschützt zu sein, und den insbesondere mit den Lebensmittel-Tafeln verbundenen ethischen und rechtlichen Fragen nachzugehen.
Literatur:
[1] Es handelt sich bei diesem Beitrag aufgrund der dramatischen Zunahme der Lebensmitteltafeln in Deutschland um eine Aktualisierung meines Aufsatzes „Das Recht auf Nahrung und die Funktion der deutschen Lebensmitteltafeln“, ZLR 2013, 649. Die Anzahl der Lebensmitteltafeln in Deutschland hat sich seit dieser Zeit von ca. 300 auf mehr als 900 verdreifacht.
[2] Wilhelm Abel, „Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa“, Hamburg und Berlin 1974, Seite 305 f.
[3] Müller, Hunger in Bayern, 1816 bis 1818 – Politik und Gesellschaft in einer Staatskrise des frühen 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1998, Seite 67 f. Weis, Montgelas – Der Architekt des modernen bayerischen Staats, 2. Band, München 2005, Seite 775.
[4] Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1866 bis 1918, Seite 793, 855. Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora, Die Geschichte des 1. Weltkrieges, München 2014, Seite 518 f., 734, 768.
[5] Viktor Klemperer, Tagebuch Oktober 1942, Seite 256, Berlin 1998.
[6] Ludolf Herbst, Der totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft, Stuttgart 1982, Seite 70 f.
[7] Konrad Adenauer, Erinnerungen, 1945 bis 1953, Stuttgart 1974, Seite 66, 69–72.; s. dazu auch Winston Churchill, Geschichte des 2. Weltkrieges – „Die Russen, indem sie die Polen vorschoben, bahnten immer weiter ihren Weg, jag-ten die Deutschen vor sich her, bis sie im Besitz der Weizenfelder und wir in den überfüllten britischen und amerikanischen Zonen im Besitz hungriger Massen waren.“, Frankfurt am Main 2013, Seite 1097.
[8] Ulrich Beck, Risikogesellschaft, München 1986, Seite 66.
[9] Herrmann, Schurkensaat, Süddeutsche Zeitung Nr. 251 vom 1. November 2014.
[10] Brabeck-Letmathe, Ernährung für ein besseres Leben, Frankfurt/New York 2016, S. 190/191.
[11] Ehm, Lebensmittelrecht und Völkerrecht in Deutschland, ZLR 2013, 395 ff.
[12] Ehm, aaO, 413.
[13] Trojanow, Der überflüssige Mensch – Mensch und Müll, 2013, Seite 27.
[14] Klapdor/Holle, ZLR 2022, 287 ff.
[15] Klapdor/Holle, ZLR 2022, 287, 292 f.
[16] Grube, fridays for future und das Lebensmittelrecht im Zielkonflikt, ZLR 2020, 222.
[17] Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 236.
[18] Mettke, in: Dannecker/Gorny/Höhn/ Mettke/Preuß, LFGB Kommentar, A 1, Geschichte und Entwicklung des Lebensmittelrechts.
[19] Art. 8 EU-Basisverordnung Schutz der Verbraucherinteressen. (1) Das Lebensmittelrecht hat den Schutz der Verbraucherinteressen zum Ziel und muss den Verbrauchern die Möglichkeit bieten, in Bezug auf die Lebensmittel, die sie verzehren, eine sachkundige Wahl zu treffen. Dabei müssen verhindert werden: (a) Praktiken des Betrugs oder der Täuschung (b) die Verfälschung von Lebensmitteln und (c) alle sonstigen Praktiken, die den Verbraucher irreführen können.
[20] Heribert Prantl, Die Abgespeisten, Süddeutsche Zeitung Nr. 168, 23./24. Juli 2022.
[21] Die Münchner Tafel – Daten und Fakten, „Täglich Notrufe am Hungertelefon“, tz München vom 9. November 2022.
[22] Hagenmeyer, Editorial, „Erst Mensch, Friedrich, dann die Menschenordnung“, ZLR 2022, 400.
[23] Härtel, Handbook of Agri-Food-Law in China, Germany, European Union – Food Security and Food Safety Law, Frankfurt a.d. Oder 2018, Seite 57 f.
[24] „Denn die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht und man siehet die im Lichte die im Dunkeln sieht man nicht.“ Bertolt Brecht, Die Dreigroschenoper.
[25] Zweig, Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt am Main 2007, Seite 15 f.
[26] Stefan Zweig wurde am 28.11.1881 in Wien geboren. Seine historischen Romane und Erzählungen – Marie Antoinette, Maria Stuart, Joseph Fouché und Sternstunden der Menschheit – wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt. 1934 musste er vor den Nazis nach London emigrieren. Seit 1940 lebte er im Exil in Brasilien. Im Februar 1942 beendete er zusammen mit seiner Frau sein Leben. Seine Biographie „Die Welt von Gestern“ erschien erst nach seinem Tod. Sie ist ein eindringliches Bekenntnis und Vermächtnis für ein Europa ohne Grenzen und gegen jegliche Form des Nationalismus; a. a. O., Seite 490–493.
[27] Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, Nachtrag zum Nachtrag, Hamburg 2022, Seite 464 ff.
International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights of 19 December 1966, everyone has the right to adequate food and to be protected from hunger. Germany also experienced severe hunger crises in the 19th and 20th centuries, for example in 1816, 1817, 1846, 1847, 1916 to 1919, 1946 to 1949. The right to food is a humanist bulwark and prohibits – as has often happened in the past and present – using or condoning hunger as a political tool against ethical or political or social groups. The starving person loses his human dignity. Not by donating food, but by being deprived of it. It is a major problem that the same legal requirements, also with regard to labelling, are to apply to the so-called food banks („Lebensmitteltafeln“), which meet the elementary needs of people in need, as to food offered for sale in supermarkets in exchange for money. This can lead to perfectly good food no longer being considered marketable.